Gutachten über ein zukünftiges Gerät
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Michael Rutschky testete das Softbook  

Ich habe mal eine Studentin der Literaturwissenschaft kennengelernt, der - wie das früher vom Kirchenglauben immer wieder berichtet worden ist - der Glaube an die Kunst- und Bildungsreligion einfach verlorenging. Artig in das Lesen anhand von Hermann Hesse und anderen Heiligen sozialisiert, überfiel sie plötzlich ätzende Skepsis angesichts dieser Sakramente und Reliquien. Eine Bibliothek zu benutzen wurde ihr so unheimlich, fast ekelhaft, wie einem Agnostiker der Besuch einer Kirche, womöglich eines Gottesdienstes. Was soll dieser aufgespreizte nackte Mann da an dem Balken?
Die Studentin ist nicht von der Literaturwissenschaft abgefallen und etwa zur Physik konvertiert. über PC und Internet konnte sie Fühlung zur Welt der Texte behalten; bloß recherchierte sie halt dort und nicht mehr in der Staatsbibliothek. Diese Textwelt hat die sakralen und bourgeoisen Ausdruckscharaktere abgestreift, wie sie am Hardbook unlöslich haften, Elemente, an denen der traditionelle Büchermensch so intensiv hängt und denen das Softbook mit seinem halben Ledereinband - wie es dem Gutachter vorlag - seine Reverenz erweist.